Barfuß auf dem Eise
Uraufführung 21. Oktober 2012
Bayer Kulturhaus Leverkusen
Ausstattung: Caroline Neven Du Mont
Musikalische Leitung: Luca Quintavalle
Bayer Kultur in Kooperation mit dem Theater Erfurt
Kölner Stadtanzeiger, 23.10.2012
Stationen eines Genies
"Er ist ein Mutant", stellt der Pater fest und beendet damit Franz Schuberts naturgemäß kurze Karriere als Sängerknabe. Johann Moritz von Cube spielt den Wiener Komponisten in "Barfuß auf dem Eise", einen Abend "über und mit Franz Schubert" (...) Von Cube ist Countertenor, die Chorknabenlage beherrscht er mühelos. Bei den Liedern, die er nach dem Stimmbruch seiner Figur im Bariton interpretiert, muß er sich hörbar anstrengen.
Den Effekt haben Julia Riegel und Caroline Neven Du Mont wohl beabsichtigt. "Barfuß auf dem Eise" ist von ihnen gemeinsam entworfen und inszeniert worden. (...) Ihr Schubert ist zwar kein Kindskopf, aber doch als Mann der Gesellschaft nicht gewachsen. Ein Mutant, auch in dem Wortsinn, als dass er einen neuen Künstlertypus darstellt. (...)
Zu Anfang liest Achim Hoffmann als Schubert senior aus dem Geburts- und Sterberegister der Familie vor, von 14 Geschwistern rafft es noch 9 im Säuglingsalter dahin. (...) Im Folgenden reihen die Regisseurinnen Schuberts Lebensstationen mit Hilfe seiner Werke aneinander, Sänger und Schauspieler bewegen sich titelgemäß auf einer Eisscholle (...) Nach hinten öffnet sich der Blick auf einen vom Bühnenhimmerl herabstürzenden Bach: Sinnbilder für die beiden Aggregatszustände des Komponisten.
Kammermusikalisches wie das Klaviertrio in Es-Dur illustriert die Träume und Gefühle Schuberts. Die Lieder, ob sie von einer ausgebildeten Sängerin wie Natascha Dwulecki oder einem talentierten Laien wie Martin Küpper gesungen werden, treiben den Abend voran (...)
...eindrücklich das Bild der Mutter, die ihre verstorbenen Kinder wie Bündel aufreiht. Schuberts Doppelleben präsentieren sie (die Regisseurinnen, Anm. J. Riegel) als Melodram, der Unwucht gemäß, die die innere Meldodie gegenüber der äußeren Lebensführung einnimmt.
Am Ende, unter der Perücke hat die Syphilis nur Flaum auf Schuberts Kopf zurückgelassen, zeigt sich, dass sich die Gesellschaft und Genie nur eine Zeit lang aneinander reiben können. Erschüttert vom hoffnungslosen "Leiermann" aus der "Winterreise" bleibt der Zuschauer zurück, die Musik aber klingt noch lange nach.
Christian Bos